Konstruktive Selbstkritik in der Landschaftsfotografie
- kolb-telieps
- 25. Juli
- 6 Min. Lesezeit
Konstruktive Selbstkritik in der Landschaftsfotografie – Fallstricke erkennen, besser fotografieren
1. Einleitung – Wenn Selbstkritik zur Sackgasse wird
Je besser wir fotografieren, desto kritischer werden wir mit unseren Bildern. Das ist grundsätzlich gut – schließlich entsteht künstlerische Entwicklung nicht aus Selbstzufriedenheit, sondern aus Reflexion. Aber was, wenn die Selbstkritik nicht mehr motiviert, sondern blockiert?
In meinem aktuellen YouTube-Video habe ich gezeigt, wie ich eines meiner eigenen Landschaftsbilder bewusst analysiere – Schritt für Schritt, mit den Augen verschiedener innerer Stimmen. In diesem Blogbeitrag gehe ich einen Schritt weiter: Was passiert psychologisch, wenn wir unsere eigenen Fotos bewerten? Welche Denkfehler schleichen sich ein – und wie können wir konstruktiv mit uns selbst umgehen, ohne uns kleinzumachen?
Dieser Beitrag richtet sich an alle, die ambitioniert fotografieren, aber manchmal mit dem Gefühl kämpfen: „Ich müsste längst besser sein.“ Und die Lust haben, ihre Selbstkritik nicht nur zu zähmen, sondern als echtes Werkzeug für die eigene Entwicklung zu nutzen.

2. Das innere Team – drei Stimmen für konstruktive Bildkritik
Statt einer einzigen strengen Stimme, die urteilt, gibt es in uns oft ein ganzes Team. Jede dieser inneren Stimmen hat ihre ganz eigene Sicht auf ein Bild – und ihre eigene Art, uns weiterzubringen oder auszubremsen. In meinem Video habe ich drei zentrale Figuren vorgestellt: den Techniker, den Wächter der Regeln und die Geschichtenerzählerin. Sie alle gehören zu unserem inneren Team – und alle bringen Licht- wie Schattenseiten mit.
Der Techniker – sachlich, klar, manchmal streng. Er achtet auf das Handwerk: Schärfe, Belichtung, Linienführung. Konstruktiv: Er hilft uns, technische Schwächen zu erkennen und präziser zu arbeiten. Gefahr: Wenn er zu dominant wird, übersieht er Emotion und Stimmung – und wertet Bilder ab, weil „die Schärfe nicht sitzt“.
Der Wächter der Regeln – analytisch, aber oft eng. Er kennt Gestaltungsregeln, Formate, Bildaufbauprinzipien – und fragt, ob du sie beachtet hast. Konstruktiv: Er bringt Ordnung und Klarheit, er kennt die Werkzeuge der Bildgestaltung. Gefahr: Wenn er das Bild nur durch das Raster der Drittelregel sieht, vergisst er die Bildwirkung.
Die Geschichtenerzählerin – emotional, suchend, manchmal unklar. Sie stellt die Frage: „Was wolltest du ausdrücken?“ Konstruktiv: Sie bringt Gefühl und Sinn ins Spiel – hilft uns, unsere Handschrift zu entwickeln. Gefahr: Wenn sie unklar bleibt oder sich nur aufs Bauchgefühl verlässt, verliert das Bild an Form.
Diese drei Stimmen können sich widersprechen. Und das ist gut so – echte Selbstkritik lebt vom Dialog, nicht vom Urteil einer Einzelmeinung. Wenn wir es schaffen, alle drei Perspektiven zu hören und auszubalancieren, entsteht eine Bildkritik, die aufbaut statt demotiviert.

3. Drei typische Denkfehler in der Selbstkritik
Selbstkritik ist nur dann hilfreich, wenn sie ausbalanciert, sachlich und offen bleibt. Sobald jedoch eine Stimme im inneren Team zu dominant wird – oder andere zum Schweigen bringt – schleichen sich Denkfehler ein. Hier sind drei besonders häufige:
i. Technik = Qualität. Typischer Ursprung: Der Techniker übernimmt das Kommando. Wie es sich zeigt: Du bewertest ein Bild fast ausschließlich danach, ob Schärfe, Belichtung, Dynamikumfang oder Histogramm stimmen – nicht danach, ob es berührt oder erzählt. Die Folge: Bilder mit technischer Schwäche, aber starker Aussage, landen ungesehen im Papierkorb. Gegenmittel: Lass die Geschichtenerzählerin zu Wort kommen. Frage dich: Was sehe ich? Was spürt man? Was bleibt hängen – trotz aller technischen Mängel?
ii. Die Regelpolizei ist immer im Recht. Typischer Ursprung: Der Wächter der Regeln dominiert. Wie es sich zeigt: Du verwirfst Bilder, weil sie nicht der Drittelregel, dem goldenen Schnitt oder dem gelernten Aufbau folgen – selbst wenn sie eine starke Stimmung erzeugen. Die Folge: Du wirst vorsichtiger, mutloser, reproduzierst bekannte Muster statt deinen eigenen Ausdruck zu suchen. Gegenmittel: Gib dem Techniker nur beratende Funktion – und erlaube der Geschichtenerzählerin, Konventionen zu hinterfragen.
iii. Ich muss besser sein – sonst zählt es nicht. Typischer Ursprung: Der innere Antrieb kippt in Selbstzweifel. Wie es sich zeigt: Du vergleichst dich mit anderen – oft unbewusst – und empfindest dein Bild als „nicht gut genug“, obwohl es deine aktuelle Entwicklung widerspiegelt. Die Folge: Du blockierst dich selbst. Entwicklung fühlt sich wie ein ständiges Scheitern an. Gegenmittel: Betrachte dein Bild nicht im Vergleich zu anderen – sondern im Vergleich zu deinen früheren Bildern. Lass auch mal den wohlwollenden Teil deines Teams zu Wort kommen.
4. Strategien für eine konstruktive Selbstkritik
Wenn die innere Kritik klar, vielfältig und wertschätzend geführt wird, kann sie zu einem echten Entwicklungsmotor werden. Aber wie gelingt das in der Praxis – gerade wenn man momentan unzufrieden ist oder Zweifel aufkommen? Hier sind vier Strategien, die dir helfen, dein inneres Team konstruktiv einzubinden.
i. Lass alle Stimmen zu Wort kommen – bewusst und nacheinander. Wenn du ein Bild kritisch betrachtest, frage dich systematisch: Was sagt der Techniker? Was bemerkt der Wächter der Regeln? Was spürt die Geschichtenerzählerin? So vermeidest du, dass eine Stimme alles übertönt. Besonders wichtig: Keine Stimme wird sofort bewertet oder ignoriert. Erst wenn alle gehört wurden, darf das Fazit entstehen.
ii. Schaffe Abstand vor der Bewertung. Die besten Einsichten kommen oft nicht unmittelbar nach dem Shooting, sondern erst mit ein paar Tagen Abstand. Ein Bild, das dich am Abend frustriert, kann am Wochenende plötzlich Tiefe zeigen – wenn du den emotionalen Abstand hast.
Tipp: Lege dir eine „Warteschublade“ für Bilder an. Bewerte nicht sofort. Manchmal hilft ein einfacher Perspektivwechsel – oder eine ruhige Stunde, in der du nicht kritisch, sondern neugierig schaust.
iii. Vergleiche dich mit dir – nicht mit anderen. Andere Fotografen und -fotografinnen zeigen ihre besten Werke. Du siehst deine Bilder inklusive aller Zweifel und Zwischenstufen. Das ist kein fairer Vergleich.
Hilfreich: Lege dir eine chronologische Galerie an – zum Beispiel einen Jahr-zu-Jahr-Vergleich deiner Lieblingsbilder. Du wirst überrascht sein, wie sich dein Stil und dein Blick verändert haben. Und du wirst sehen: Es ist nicht nur „besser“ geworden – es ist mehr deins geworden.
iv. Hol dir gezieltes Feedback – nicht beliebige Meinungen. Statt einfach in Foren zu posten mit „Was haltet ihr davon?“, frage gezielt: Wie wirkt das Bild auf dich? Was nimmst du emotional wahr? Was könnte ich gestalterisch anders machen? Feedback ist dann hilfreich, wenn du weißt, was du eigentlich wissen willst – und wenn du Menschen fragst, die deinen fotografischen Weg respektieren.
5. Was macht ein gutes Bild aus?
Es gibt unzählige Kriterien für gute Landschaftsfotos – Schärfe, Bildaufbau, Licht, Kontrast, Tiefe. Doch wenn wir ehrlich sind, wissen wir: Ein Bild kann technisch perfekt sein – und trotzdem langweilig. Umgekehrt kann ein leicht unscharfes, unsauber belichtetes Bild eine enorme Wirkung entfalten.
Gibt es also objektive Maßstäbe? Teilweise. Ja – ein unruhiger Bildaufbau kann die Aussage schwächen. Überbelichtung kann Details zerstören. Doch das heißt nicht, dass technische Regeln allein ein gutes Bild erzeugen. Die entscheidende Frage ist: Was willst du mit deinem Bild ausdrücken – und gelingt dir das?
Ein Bild kann dann gut sein, wenn es…
• eine Stimmung transportiert, die spürbar wird,
• eine Idee sichtbar macht, die über das rein Abgebildete hinausgeht,
• etwas über dich verrät – wie du die Welt siehst, was dir wichtig ist.
Deshalb ist es so wertvoll, nicht nur besser fotografieren zu wollen, sondern ehrlicher, persönlicher, authentischer.
Mut zur Handschrift. Gerade wenn du viel lernst, vergleicht sich dein Blick oft mit „dem Ideal“. Du willst alles richtig machen – und vergisst manchmal, wie du eigentlich selbst sehen willst. Die Aufgabe ist nicht, so zu fotografieren wie andere – sondern herauszufinden, was dein Bild ausmacht.
Ein Bild, das berührt, darf Regeln brechen. Es darf anders sein. Es darf sogar anecken. Wichtig ist nur: Es darf nicht dich selbst klein machen.
6. Fazit: Selbstkritik als Werkzeug, nicht als Urteil
Konstruktive Selbstkritik bedeutet nicht, sich selbst kleinzureden. Sie bedeutet, genau hinzusehen, die richtigen Fragen zu stellen und offen zu bleiben für Entwicklung – ohne den eigenen Bildern oder sich selbst den Wert abzusprechen.
Wenn du dein inneres Team kennst – zum Beispiel mit Techniker, Regelwächter und Geschichtenerzählerin – kannst du lernen, ihre Stimmen einzuordnen. Diese drei Figuren sind Beispiele: Vielleicht sehen deine inneren Stimmen ganz anders aus – analytisch, emotional, mutig, zweifelnd oder fragend. Wichtig ist nicht, wie sie heißen – sondern, dass sie miteinander sprechen dürfen.
Manchmal braucht ein Bild technische Korrektur, manchmal ein emotionales Bekenntnis – oft beides. Was du nicht brauchst, ist der innere Abbruch.
Drei letzte Gedanken für deine nächste Bildkritik:
• Stell Fragen statt Urteile aufzustellen. Was wirkt schon gut? Was könnte noch klarer werden?
• Gib dir selbst den Raum, unfertige Bilder zu haben. Nicht jedes Foto muss zeigen, wie gut du bist – manches zeigt, wohin du willst.
• Dein Blick entwickelt sich weiter – aber nicht, wenn du ihn lähmst. Gönn dir Vertrauen. Es wächst mit jedem Bild.
Wenn du magst, kannst du diesen Blogbeitrag gemeinsam mit dem YouTube-Video nutzen: Im Video geht es um mein eigenes Bildbeispiel – hier im Text um die psychologischen Hintergründe. Beides ergänzt sich. Und vielleicht wirst du beim nächsten Foto merken: Die Kritik in dir ist nicht dein Gegner. Sie ist der Anfang eines Gesprächs.



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